Perfektion kann unser Essverhalten maßgeblich beeinflussen. Doch leider nicht immer positiv. Ich erkläre dir, was es mit gesundem und ungesundem Perfektionismus auf sich hat und wie du mit mehr Leichtigkeit eine gesunde Ernährungsweise entwickelst.
Bist du auch perfektionistisch? So ziemlich jeder hat zumindest einen Bereich, indem er richtig gut sein will.
Das kann zum Beispiel der Job sein. Du möchtest besonders herausstechen, steckst deine ganze Kraft in deine Arbeit und willst gerne „Mitarbeiter des Monats“ sein.
Vielleicht ist dir Sport wichtig. Du trainierst regelmäßig, nimmst an Wettkämpfen teil und investierst viel Zeit und Anstrengung, um richtig erfolgreich zu sein.
Oder du legst besonders viel Wert auf deine Optik. Du strebst die perfekte Figur, die perfekte Haut oder die perfekte Frisur an und gibst dir viel Mühe, deinem Idealbild zu entsprechen.
Unser Wunsch nach Perfektion ist nicht überraschend, denn wir werden bereits sehr früh auf gute Leistung geprägt.
Spätestens in der Schule werden wir mit diesem Thema konfrontiert. In Hausaufgabenüberprüfungen und Klausuren erhalten wir regelmäßig Noten und werden somit in Form von Zahlen für unsere Leistungen bewertet und miteinander verglichen.
Bei guten Noten bekommst du jede Menge Anerkennung: Dein Lehrer lobt dich und deine Eltern belohnen dich vielleicht sogar mit einem kleinen Taschengeld oder anderen materiellen Dingen.
Ist deine Leistung jedoch nicht zufriedenstellend, dann ist Ärger vorprogrammiert.
Von klein auf werden wir daher auf Perfektion und Leistung getrimmt.
Unser Drang nach Perfektion – nicht nur im Essverhalten – ist an sich eine gute Sache. Perfektionismus sorgt dafür, dass du regelmäßig für bestimmte Dinge motiviert wirst und auch unsere Gesellschaft profitiert von dem ständigen Streben nach Verbesserung.
Doch wir müssen zwischen gesunder und ungesunder Perfektion unterscheiden.
Ist dein Perfektionismus „normal“ ausgeprägt, dann hast du zwar Ziele und Wünsche, die du erreichen möchtest. Allerdings erlaubst du dir Fehler auf dem Weg dahin. Du kannst dein Verhalten gut reflektieren und akzeptierst es, wenn ein Tag nicht nach Wunsch verlaufen ist. Es muss ja nicht immer alles perfekt sein!
Ungesunde Perfektion hingegen lässt dich an einem schlechten Tag an deinem Selbstwertgefühl zweifeln. Du hast Angst, dass du von deinem Umfeld nicht akzeptiert wirst, wenn du keine perfekte Leistung erbringst. Schnell bist du dadurch in einer Spirale aus Sorgen vor Kritik, Bewertung und dem Scheitern gefangen.
Doch wie kann man den gesunden vom ungesunden Perfektionismus unterscheiden und wie treibt uns dieser an?
Dazu möchte ich ein psychologisches Modell beschreiben, das den Unterschied sehr gut veranschaulicht: Das IST und SOLL Prinzip.
Ungesunde Perfektion ist das Missverhältnis zwischen IST und SOLL.
Der IST-Zustand beschreibt dich als den Menschen, der du gerade bist. Mit all deinen Bedürfnissen und deinem Verhalten.
Der SOLL-Zustand ist hingegen dein Ideal, das du erreichen möchtest.
Ein Beispiel aus der Ernährung: Du willst weniger Zucker zu dir nehmen – das ist dein SOLL.
Dein IST zeigt aber, dass du gerne Nutella-Toast frühstückst, im Büro gerne ein paar Kekse snackst und abends vor Netflix die Gummibärchen aus der Schublade holst.
Es gibt also eine Spannung zwischen IST und SOLL.
Für die meisten Menschen ist diese Spannung jedoch gut zu ertragen und wirkt sich letztendlich sogar positiv aus. Nach so einem Tag ist deine Motivation, auf die Kekse zu verzichten und am Abend lieber zum Apfel zu greifen, wieder enorm gesteigert. Schließlich hast du dir ein Ziel gesetzt und weißt, was du dafür tun musst.
Leidest du jedoch unter ungesundem Perfektionismus, ist diese Spannung für dich unerträglich. Du hast ständig Angst, Fehler zu machen und dein Ziel nicht zu erreichen. Dein SOLL-Wert, der dir normalerweise eine Orientierung und ein Ansporn sein soll, wird plötzlich zum absoluten MUSS.
Naschst du also Gummibärchen und Kekse belastet dich das stark, es verfolgt dich jeden Tag und schränkt dich extrem ein. Du denkst nur noch daran, dass du gescheitert bist. Dein gesamtes Verhalten – und damit auch deine Ernährung – werden dadurch stark beeinflusst.
Du willst dich perfekt ernähren, versuchst alle Richtlinien und Empfehlungen gleichzeitig zu befolgen und plötzlich ist die Essauswahl das reinste Minenfeld. 90 % aller Lebensmittel sind nun „böse“ und verführen dich zu Fehlern.
Für diese extreme Sucht nach Perfektion im Essverhalten gibt es sogar mittlerweile eine Bezeichnung, die als Essstörung anerkannt ist. Man spricht in dem Fall von Orthorexie.
Betroffene trauen sich dann oft nicht mehr, außer Haus zu essen und bringen ihre Lebensmittel mit. Schließlich weiß man nicht, wie im Restaurant oder bei Freunden gekocht wird. Die panische Angst, einen Fehler zu machen, senkt die Lebensqualität enorm.
Das kann letztendlich sogar zur Magersucht führen, wenn der Verzicht so konsequent durchgezogen wird.
Doch auch dann, wenn Perfektion nicht zum Zwang geworden ist, kann diese trotzdem einen enormen Einfluss auf dein Essverhalten haben.
In den meisten Fällen setzt du dir ein bestimmtes Ziel, zum Beispiel eine Gewichtsabnahme. Du arbeitest einen konkreten Ernährungsplan aus und hältst dich auch dran.
Dann tritt jedoch plötzlich ein Ereignis auf – die Geburtstagsparty deiner besten Freundin oder richtig viel Stress auf der Arbeit – und du wirst schwach. Du wirst durch äußere oder innere Reize von deinem Plan abgelenkt.
Deine ungesunde Perfektion ruft nun jede Menge Selbstzweifel hervor. Du machst dir Vorwürfe, dass du versagt hast und redest dich selbst klein.
Die Folge: Jetzt ist eh alles egal und du isst erst recht!
Bereits in Folge 10 habe ich in diesem Zusammenhang über den gezügelten Esser berichtet.
Du kannst dich sehr lange zügeln und deinem angeblich perfekten Plan folgen. Bis zu einem Moment der Schwäche, an dem du dann alle Vorhaben über Bord wirfst. Das schlechte Gefühl, dass du dir durch die Selbstvorwürfe machst, verstärkt deinen Frust und der Heißhunger ist vorprogrammiert.
Durch diesen schlechten Einfluss auf dein Essverhalten durch Perfektion kann neben einer ungesunden Beziehung zum Essen langfristig auch zu Übergewicht kommen.
Doch was kannst du tun, wenn dein ungesunder Perfektionismus dein Essverhalten so stark beeinflusst? Einfach in den Tag hineinleben und essen, was auch immer du möchtest?
In gewisser Weise ja. Denn das Essen wirklich zu genießen ist so viel besser, als sich durch Verbote eine schlechte Beziehung aufzubauen.
Doch das ist natürlich kein Freifahrtschein, einfach ungehemmt alles zu dir zu nehmen. Willst du dein Gewicht reduzieren, musst du natürlich auf eine negative Energiebilanz achten. Sprich: weniger Kalorien essen, als du verbrauchst.
Doch wichtig ist, an deinem Drang nach Perfektion zu arbeiten. Ist das bei dir normal ausgeprägt, dann wird dich dein Perfektionismus bei der Gewichtsabnahme sicherlich unterstützen können. Du wirst dich gut an deine Vorsetze halten können und nicht zu hart mit dir ins Gericht gehen wenn es dann doch mal nicht klappt – abhaken und weiter machen!
Leidest du aber unter ungesunder Perfektion, solltest du versuchen, mehr Leichtigkeit und Akzeptanz in deinen Alltag zu bringen.
Es ist völlig in Ordnung, wenn nicht jeder Tag zu 100 % nach Plan verläuft. Gesunde Ernährung und Gewichtsabnahme sind langfristige Projekte. Nur weil du an einem, an zwei oder auch drei Tagen einen Durchhänger hast, bedeutet das nicht, dass du deine komplette Ernährungsweise verfehlt hast.
Akzeptiere solche Tage und mache einfach an dem Punkt weiter, an dem du aufgehört hast.
Gesunde Ernährung ist nicht immer gradlinig. Es ist in Ordnung, auch einmal rechts und links ein bisschen vom Weg abzukommen. Du solltest aber vermeiden, an einem bestimmten Punkt eine ganz andere Richtung einzuschlagen und nicht mehr zurück zur Linie zu kommen.
Es ist wichtig, dass du wieder Spaß am Essen entwickeln kannst. Dann hast du auch wieder Lust und Motivation, dich damit auseinanderzusetzen.
Jeder Mensch hat Gelüste und Appetit. Verbiete es dir daher nicht, sondern genieße kontrolliert.
Ich hoffe, ich konnte dir einen Überblick geben, wie Perfektion dein Essverhalten beeinflusst. Für den einen kann das positiv sein, für den anderen jedoch ziemlich schwierig. Mache dir also keine Vorwürfe, wenn du einen schlechten Tag hast, sondern erinnere dich daran, dass du morgen wieder weitermachen kannst.
Welchen Einfluss hat Perfektion auf dein Essverhalten und wie gehst du damit um? Ich freue mich, wenn du deine Geschichte in den Kommentaren mit uns teilst.