Zu viel essen, obwohl man keinen Hunger hat? Das kennen viele. Eine mögliche Erklärung: der Lizensierungseffekt, doch der betrifft nicht nur deine Ernährung. Ich verrate dir, warum du in bestimmten Lebenssituationen so reagierst, wie du es tust und zeige dir, wie du in Zukunft ganz bewusst andere Entscheidungen treffen kannst.
Psychologische Effekte, Theorien und Phänomene sind besonders spannend, denn sie kommen weltweit vor und betreffen viele Menschen. Ganz unabhängig von Alter, Geschlecht oder Herkunft.
Hast du erst einmal verstanden, welcher Effekt hinter einer bestimmten Verhaltensweise bei dir steckt, dann kannst du viel einfacher gegensteuern und damit „schlechte Angewohnheiten“ ändern.
Der Lizensierungseffekt bildet keine Ausnahme und verursacht eine Handlungsweise, die dir vielleicht auch bekannt ist: Du isst – oft zu viel – obwohl du gar keinen Hunger hast.
Ich zeige dir, wie der Lizensierungseffekt deine Ernährung beeinflusst, gebe dir anschauliche Beispiele, in denen du dich eventuell wiedererkennst und verrate dir Tipps, wie du dich in Zukunft nicht mehr davon beeinflussen lässt.
Der Lizensierungseffekt, auch Guthaben-Effekt genannt, beschreibt eine Art moralisches Konto, das jeder Mensch besitzt.
Tust du etwas Gutes, dann zahlst du quasi auf dieses Konto ein. Das gibt dir anschließend die vermeintliche Berechtigung, zu einem späteren Zeitpunkt etwas „Schlechtes“ machen zu dürfen und dafür das Guthaben deines moralischen Kontos zu nutzen.
Die schlechtere Tat oder Entscheidung wurde durch deine vorangehende gute Tat praktisch ausgeglichen. Dadurch entsteht eine gewisse Balance, die Schuldgefühle verhindert. Du kaufst dich sozusagen direkt frei.
Erst wenn diese Balance ins Ungleichgewicht gerät – dein moralisches Konto also buchstäblich in die roten Zahlen sinkt – schleicht sich ein Gefühl der Reue ein.
Konkret beschreibt der Lizensierungseffekt: Auf eine gute Tat in der Gegenwart folgt eine schlechte Tat in der Zukunft und das ist für dich völlig akzeptabel, wenn nicht sogar ein Stück weit gewünscht.
Die Voraussetzung ist jedoch, dass du deine gute Tat auch wirklich als besondere Leistung empfindest. Wenn du sowieso jeden Tag die Einkäufe deiner älteren Nachbarin in den dritten Stock trägst, dann hast du dich daran gewöhnt. Das löst keine Befriedigung mehr aus.
Es muss also eine Handlungsweise sein, die sich in deiner moralischen Wahrnehmung richtig gut anfühlt.
Es gibt einige interessante Studien, die genau diesen Effekt untersucht haben. Unter anderem wurden Testpersonen in zwei Gruppen unterteilt. Die einen sollten ihren Einkauf in einem Bioladen erledigen, während die anderen zum günstigen Discounter geschickt wurden.
Die Einkäufer aus dem Bioladen bekamen dadurch ein gutes Gefühl, sie hatten schließlich nachhaltige und faire Artikel erworben.
Die andere Gruppe fühlte sich weniger gut, denn die Waren aus dem günstigen Laden haben weder Mensch noch Umwelt geholfen.
Nach dem Einkauf wurden beiden Gruppen einige Szenarien vorgestellt und sie wurden gefragt, wie sie in den unterschiedlichen Situationen handeln würden. Der Fokus: Wie mitfühlend würden die Teilnehmer auf die beschriebenen Situationen reagieren?
Das Ergebnis war eindeutig: Die Käufer aus dem Bioladen zeigten deutlich weniger Einfühlungsvermögen als die Teilnehmer, die im Discounter einkaufen waren.
Das lässt sich auf den Lizensierungseffekt zurückführen. Durch den Einkauf von nachhaltigen Artikeln im Bioladen hatte die erste Gruppe bereits eine gute Tat vollbracht. Das moralische Konto war aufgefüllt. Daher konnten sie auf die folgenden Fragen ruhig ein wenig egoistischer reagieren.
Die Personen aus dem Discounter hingegen hatten diesen Puffer auf ihrem Konto nicht. Sie durften sich nicht “danebenbenehmen” und reagierten daher mit mehr Mitgefühl.
Der Lizensierungseffekt hat durch unsere Taten großen Einfluss auf unser moralisches Konto. Auch unser Gewissen spielt dabei eine wichtige Rolle – vor allem in der Ernährung.
Wir machen häufig Dinge, die auf unser Gutes-Gewissen-Konto einzahlen. Aber damit holen wir uns gleichzeitig den Freifahrtschein, unserer Ernährung in anderen Gelegenheiten kaum Aufmerksamkeit zu schenken, wodurch wir ungesund oder zu viel essen.
Ein Beispiel: Du möchtest abnehmen durch mehr Bewegung.
Du hast dir also vorgenommen, endlich wieder Sport zu machen und möchtest regelmäßig Joggen gehen. Du überwindest deinen inneren Schweinehund, drehst eine Runde durch den Park und fühlst dich danach richtig gut. Du bist sogar ein wenig stolz auf dich.
Nach einer erfrischenden Dusche entspannst du dich auf dem Sofa und denkst: Hey, ich habe gerade ein großes Plus auf meinem Gutes-Gewissen-Konto, vielleicht löse ich das ein?
Das passiert natürlich völlig unbewusst, du entscheidest das nicht aktiv. Vielleicht hast du in dem Moment noch Chips oder Schokolade im Vorratsschrank und „gönnst“ dir eine Belohnung. Schließlich warst du ja vorher joggen!
Doch häufig isst du dann direkt mehr Kalorien, als du überhaupt abtrainiert hast.
Der Lizensierungseffekt sorgt also dafür, dass die verbrannten Kalorien hinfällig werden. Dein gutes Gewissen vom Sport erlaubt dir sozusagen, dich dafür auch richtig zu belohnen. Was häufig eintritt: Du isst mehr Chips oder mehr Schokolade und erzielst damit unter dem Strich eine positive Energiebilanz.
Wenn du dich gar nicht erst zum Sport aufgerafft hättest, wäre das wahrscheinlich nicht passiert.
Ein weiteres Beispiel für die Auswirkungen des Lizensierungseffekts in der Ernährung sind Lightprodukte. Du möchtest dein Gewicht reduzieren und greifst im Supermarkt zu den fett- und kalorienreduzierten Produkten.
Dadurch steigt dein gutes Gewissen enorm, du sparst schließlich Kalorien und Fett ein. Dein moralisches Konto ist wieder richtig gut gefüllt. Es spricht also nichts dagegen, dieses vermeintliche Plus wieder auszugeben.
Wie wäre es also mit zwei statt nur einer Scheibe Lightkäse auf dem Brötchen? Oder gleich ein Brötchen mehr als sonst?
Zu viel essen ist mit Lightprodukten ein ganz bekanntes Phänomen. Wenn du noch mehr Informationen zu Lightprodukten brauchst, dann höre doch in meine Podcastfolge Nr. 34 rein.
Fast jeder hat ein wenig Angst vor dem Unbekannten und häufig sind wir so mit unserem neuen Leben beschäftigt, dass sich ungesunde Routinen einfach einschleichen. Sei dir dessen bewusst und entscheide dich dagegen. Wie sind deine Erfahrungen mit einer Gewichtszunahme nach einem Lebensumbruch? Ich freue mich auf deine Geschichte in den Kommentaren.
Leider hat der Lizensierungseffekt noch weitere Auswirkungen auf unser Verhalten. Wissenschaftler haben festgestellt, dass manchmal sogar die Vorstellung der guten Tat ausreicht.
Das bedeutet: Du kannst auf dem Sofa liegen und dir ausgiebig vorstellen, dass du demnächst Joggen gehst. Das reicht, um ein gutes Gewissen zu entwickeln. Du kannst im Anschluss also direkt mit der Belohnung starten, obwohl du dich gar nicht bewegt hast.
Auch dein Umfeld kann dich darin stark beeinflussen und den Lizensierungseffekt auslösen. Deine Freunde erzählen ganz angeregt von ihrer Laufgruppe und du fühlst dich innerlich so mitgerissen, dass du ebenfalls ein gutes Gewissen entwickelst und sich dein Guthabenkonto somit füllt. Die Folge: Du isst wieder zu viel. Und dass, obwohl du gar nicht trainiert hast.
Es ist überraschend, wie einfach du dein eigenes Unterbewusstsein austricksen kannst.
Zunächst gilt: Dieser Effekt ist kein Zwang. Jeder unterliegt ihm, mal mehr, mal weniger. Aber du musst nicht mit zu viel essen darauf reagieren, sondern kannst dich dagegen entscheiden.
“Unterbewusstsein” ist das Stichwort, wenn du dem Lizensierungseffekt gegensteuern möchtest.
Dafür brauchst du eine große Portion Bewusstsein und Achtsamkeit. Kontrolliere deine Verhaltensweisen. Warum willst du nach dem Sport zu den Chips greifen?
Der Lizensierungseffekt passiert ohne dein aktives Zutun. Niemand sagt sich: Hey, jetzt habe ich etwas Gutes getan, da kann ich richtig einen drauf machen!
Wenn du zum Beispiel nach dem Joggen merkst, dass du immer direkt zu einem Snack greifst, dann hinterfrage das. Verhalten. Du weißt nun, was dafür verantwortlich ist. Du kannst stolz auf deine Leistung sein und das als gute Tat für sich stehen lassen.
Dein gutes Gewissen braucht keinen Ausgleich!
Der Lizensierungseffekt kann dazu führen, dass du in bestimmten Situationen zu viel isst. Aber hast du das erst einmal erkannt, kannst du dich bewusst dagegen entscheiden. Du musst nicht immer einem bekannten Muster folgen – wie zum Beispiel dem Snack nach dem Sport. Bleibe bei deinen guten Taten und genieße lieber ein sattes Plus auf deinem Guten-Gewissen-Konto, anstatt sofort alles wieder ausgleichen zu wollen.
Kennst du diese Situationen auch? Ertappst du dich dabei, zu viel zu essen, obwohl du gar nicht hungrig bist? Ich freue mich, wenn du deine Geschichte in den Kommentaren mit uns teilst.