SELBSTOPTIMIERUNGSWAHN – MEHR ALS NUR EIN TREND

Der Selbstoptimierungswahn kann gefährlich sein. Sehr schnell kann aus dem gesunden Bedürfnis nach Verbesserung eine Sucht werden, die deiner Psyche nicht gut tut. Ich zeige dir, was Selbstoptimierung überhaupt ist, welche Vor- und Nachteile sie mit sich bringt und wie du zukünftig besser auf dich aufpassen kannst.

 

SELBSTOPTIMIERUNGSWAHN: POSITIV ODER NEGATIV?

Selbstoptimierung – ein Schlagwort, dass uns in den Medien immer häufiger begegnet. Vor einiger Zeit bin ich über einen Artikel gestolpert, bei dem es um das Thema „DNA Diät“ ging, wieder ein Ansatz zur Selbstoptimierung.

Kurz erklärt: Dabei handelt es sich um eine Ernährungsform, die auf die eigenen DNA angepasst werden soll. Nach einem Speicheltest wird ermittelt, welche Nährstoffe dein Körper speziell braucht, welche Makronährstoffe du essen und welche du vermeiden solltest. Die Ernährungswissenschaft beschäftigt sich inzwischen immer mehr mit der Nutrigenetik.

Auch ich finde das Thema sehr spannend und glaube, dass es sich dabei um einen guten Ansatz handelt, denn mehr Wissen über die eigene Genetik kann viel zu unserer Gesundheit beitragen.

Trotzdem wurde mir etwas anders, als ich folgenden Abschnitt über die mögliche Entwicklungen dieser Ernährungsform las:

„Wer Hunger bekommt und sich noch schnell die Pizza vom Vortag aus dem Kühlschrank holen will, der könnte zukünftig folgende Situation erleben: Ein kleines Display an der Innenseite des Kühlschranks begrüßt den Hungrigen mit dem Namen. Dann leuchtet ein rotes Lämpchen auf. Es piept. – Achtung, Tagesdosis an Kohlenhydraten erreicht. Alternative: Salat.“

Dieser Punkt machte mich stutzig. Geht das nicht ein wenig zu weit? Wird an dieser Stelle aus der Selbstoptimierung der Wahn?

Wir leben in einer Zeit, in der wir uns gerne selbst optimieren. Jeder arbeitet an sich selbst und das ist sehr positiv. Aber hat dieser Hang zu „schneller, besser, weiter“ nicht auch seine Schattenseiten, vor allem für unsere Psyche?

 

 

DIE GRUNDBEDÜRFNISSE DES MENSCHEN – GEHÖRT SELBSTOPTIMIERUNGSWAHN DAZU?

Selbstoptimierung liegt im Trend. Wie können wir noch besser werden, wie können wir uns weiter optimieren? Das betrifft natürlich auch den Körper. Wir machen mehr Sport und achten verstärkt auf unsere Gesundheit. 

Doch auch mental möchten wir uns weiterentwickeln. In meinem Umfeld sehe ich diese Tendenz
ebenfalls. Viele setzen sich zum Beispiel mit Persönlichkeitsentwicklung auseinander, meditieren regelmäßig und entwickeln eine ausführliche Morgenroutine.

Selbstoptimierung ist allgegenwärtig.

Mir stellt sich allerdings die Frage: Warum ist das Thema heutzutage so beliebt? Weshalb möchte sich jeder ausgerechnet jetzt optimieren?

 

SELBSTOPTIMIERUNGSWAHN – ODER DIE BEDÜRFNISPYRAMIDE

 

Um Selbstoptimierung und die Aktualität besser zu verstehen, müssen wir uns zunächst mit den grundsätzlichen menschlichen Bedürfnissen auseinandersetzen.

Diese haben unterschiedliche Prioritäten. Jedoch verschiebt sich die Wichtigkeit der verschiedenen Bedürfnisse im Laufe unseres Lebens. Klingt kompliziert, ist es aber nicht!

Der Psychologe Abraham Maslow hat sich ebenfalls mit dieser Thematik befasst und daraus die einfach verständliche Bedürfnispyramide entwickelt, die ich dir kurz vorstellen möchte.

Die Bedürfnispyramide unterteilt sich in fünf unterschiedliche Ebenen. Grundsätzlich gilt: Du musst zunächst alle Bedürfnisse des unteren Levels erfüllen, bevor die darauffolgenden für dich relevant werden.

Ganz unten, am breitesten Punkt der Pyramide, befinden sich die physiologischen Anforderungen. Damit dein Körper funktionieren kann, braucht er Wasser, Nahrung, Schlaf. Diese Faktoren sichern dein Überleben. Sind sie nicht erfüllt, dann hast du auch kein Verlangen nach anderen Dingen.

Im nächsten Level stehen die Anforderungen an deine Sicherheit. Du brauchst eine Arbeit und ausreichend Geld, du möchtest ein Dach über dem Kopf haben und nicht frieren, auch deine Gesundheit ist wichtig.

Hast du diese Bedürfnisse erfüllt, erwartet dich im nächsten Abschnitt der Bedürfnispyramide der Wunsch nach sozialen Bedürfnissen. Du suchst nach Freundschaften und Beziehungen. Du möchtest eine Familie und eine Umfeld um dich haben in den du dich wohl fühlst. Du willst Liebe und Zuneigung erfahren. Diese Dinge brauchst du ebenfalls für ein zufriedenes Leben.

Ist auch das vollbracht, kommst du in die Phase der Individualbedürfnisse. Dahinter steckt der Wunsch nach Anerkennung, nach Unabhängigkeit und auch nach Wertschätzung. Hier suchst du dir all die Dinge, die dir persönlich ein gutes Gefühl geben.

Nun sind wir ganz oben angekommen, denn sind auch die Individualbedürfnisse gestillt, möchtest du dich selbst verwirklichen. Du möchtest deine Potenziale entfalten, dich weiterentwickeln, egal ob deinen Geist oder deinen Körper. Dieser Bereich ist sehr individuell und persönlich.

Bedürfnispyramide nach Maslow

 

HÖHER, SCHNELLER, WEITER

Diese fünf Ebenen werden nach Maslow nochmals in zwei weitere Kategorien unterteilt. Die unteren drei Level beschäftigen sich mit den sogenannten Grundbedürfnissen. Sind diese nicht erfüllt, kann das zu physiologischen oder psychischen Störungen führen. Konkret bedeutete das: Wenn die ersten drei Stufen der Pyramide nicht realisiert werden, dann hat das langfristig negative Konsequenzen.

Daher haben die Grundbedürfnisse immer die allerhöchste Priorität. Sind sie nicht erfüllt, steigst du auf der imaginären Leiter nicht auf, da du keine Kapazitäten hast dich mit den höheren Ebenen auseinanderzusetzen.

Die beiden oberen Ebenen nennt Maslow die „Wachstumsbedürfnisse“. Kümmerst du dich um diese Verlangen, dann fühlst du dich in der Regel zufriedener, glücklicher und gelassener. 

Glücklicherweise leben wir in einem Land und zu einer Zeit, in die Grundbedürfnisse der meisten Menschen gestillt sind. In der Regel haben wir genügend zu Essen, ein Dach über dem Kopf, eine Arbeit, die uns ein monatliches Einkommen sichert sowie ein soziales Umfeld.

Durch diese Stabilität der unteren Ebenen wächst der Wunsch nach „mehr“ daher automatisch. Unbewusst möchtest du dich weiterentwickeln, dein Potenzial erweitern und dir neue Ziele stecken. Selbstverwirklichung ist damit eine logische Konsequenz und gleichzeitig ist das die Erklärung, warum dieses Thema heutzutage so aktuell ist. Wir haben die Möglichkeiten uns mit den Wachstumbedürfnissen auseinanderzusetzen.

 

WIE AUS SELBSTOPTIMIERUNG EIN WAHN WIRD

Zunächst ist Selbstoptimierung eine gute Entwicklung. Du nimmst dir Zeit für dich, lernst neue Dinge und kultivierst Verhaltensweisen, die sowohl deinen Geist als auch deinen Körper positiv beeinflussen. Doch leider gibt es auch Schattenseiten.

Befindest du dich in der Wachstumsebene ist deine Entwicklung nie wirklich abgeschlossen. Erreichst du ein Ziel, erhöhst du deinen Anspruch und setzt dir direkt ein neues. Der Kreislauf aus „höher, schneller, weiter“ beginnt. Hier kann aus der positives Selbstoptimierung ein Selbstoptimierungswahn werden, wenn man nicht achtsam mit sich selbst umgeht. 

Schauen wir uns also die Vor- und Nachteile dieser Entwicklung genauer an:

 

VORTEILE

Gesundheit

Du arbeitest an einer ausgewogenen Ernährung und gehst regelmäßig zum Sport. Deinem Körper geht es mit jedem Tag besser und das ermöglicht dir ein gesünderes und möglicherweise auch längeres Leben.

Selbstbewusstsein

Du verbesserst deine persönliche Wahrnehmung und arbeitest aktiv an Bereichen, mit denen du bisher nicht zufrieden warst. Das steigert dein Selbstbewusstsein und deine Ausstrahlung, du akzeptierst dich selbst und bist zufriedener.

Glücklich sein

Auch deine Persönlichkeit wird Teil deiner Selbstoptimierung. Du setzt dich mit dir und deinen Bedürfnissen auseinander, verstehst dich besser und lebst dadurch ein glücklicheres Leben.

 

NACHTEILE

Endlosschleife

Du bist nie fertig. Du hast nie das Gefühl, dass du angekommen bist und nun dein Leben so ist, wie es sein sollte. Sobald du ein Ziel erreicht hast, planst du das nächste und erhöhst natürlich die Ansprüche an dich selbst. Du bist dauerhaft getrieben und vergisst zu reflektieren, was du bereits erreicht hast. Du erkennst deine eigene Leistung nicht (oder zu wenig) an.

Konkurrenz

Du vergleichst dich ständig. Freundeskreis und soziale Medien leben dir vor, dass du um fünf Uhr morgens aus dem Bett springen, deine Morgenroutine aus Mediation, Sport, Wasser trinken noch vor dem Frühstück absolvieren musst und natürlich dein Dankbarkeitstagebuch führen sollst. Du beobachtest dein Umfeld und möchtest dich unbewusst ebenfalls in diese Richtung optimieren, unabhängig davon ob das zu dir passt oder nicht.

Erwartungen

Die Erwartungen an dich selbst sind enorm. Du möchtest dich nur noch penibel gesund ernähren und eine Weile hältst du dich streng daran. Doch der Bumerang kommt oftmals zurück und endet in Heißhungerattacken. Die Folgen: Du fühlst dich miserabel, denkst du hast „versagt“ und beginnst von Neuem. Der Selbstoptimierungswahn ist erwacht. 

 

WIE AUS WAHN WIEDER GESUNDE SELBSTOPTIMIERUNG WIRD

So positiv die Selbstoptimierung sein kann, so schnell lassen die oben genannten Nachteile einen Wahn daraus entstehen. Bedenke deshalb:

Dein Leben unterliegt manchmal extremen Schwankungen. Es kann passieren, dass du deinen Job verlierst, deine Wohnung dir gekündigt wird oder dein Partner entscheidet sich plötzlich gegen eine Beziehung. Die Basis deiner persönlichen Pyramide wackelt. Doch um dich herum optimieren alle fleißig weiter, gehen zum Sport, essen Overnight Oats zum Frühstück und starten das neue, spannende Projekt – sie leben in der Wachstumsebene.

An diesem kritischen Punkt ist es enorm wichtig, dass du einen Schritt zurück gehst und dich zunächst um deine Grundbedürfnisse kümmerst. Es ist völlig normal, dass sich von Zeit zu Zeit deine Prioritäten ändern und du daher auch in der Pyramide entweder auf- oder absteigst. Selbstoptimierung wird dich zu diesem Zeitpunkt nur frustrierend, daher ist es legitim, es zwischenzeitlich völlig außen vor zu lassen und dich auf deine aktuelle Situation zu konzentrieren. 

Gehe behutsam mit dir um und hinterfrage regelmäßig: Optimierst du dich, weil die Motivation aus dir kommt oder hast du zu viel rechts und links geschaut? Machst du es freiwillig oder fühlst du dich getrieben, vielleicht sogar unter Druck gesetzt?

Um noch einmal auf den genannten Artikel zur DNA Diät zurückzukommen: Gesunde Ernährung ist wichtig! Ist die Basis deiner Bedürfnispyramide stabil, kannst du gerne andere Ernährungsformen ausprobieren und dich optimieren. Doch bedenke: Selbstoptimierung kann schnell zum Wahn werden und dich überfordern, vor allem wenn du an deinen Grundbedürfnissen arbeitest.

Behalte deshalb im Hinterkopf: Selbstoptimierung bringt viele Vorteile mit sich. Doch in erster Linie muss sie dich glücklich machen und dich nicht unter Druck setzen oder zu Selbstzweifeln führen. Denn was bringt der gesündeste Lebensstil und der durchtrainierteste Körper, wenn die Psyche darunter leidet? Wie stehst du zum Thema Selbstoptimierungswahn? Schon einmal erlebt oder weit davon entfernt? Ich freue mich auf deinen Kommentar.

 

 

 

4 Comments

  1. Sonja Sturm sagt:

    Guten Abend liebe Bastienne,
    Zunächst einmal vielen Dank, dass ich hier so viel lernen kann. Voraussetzung war tatsächlich, mit mir klar zu kommen und meine Gedanken zu sortieren. Seit Jahren beschäftigt mich das Thema Abnehmen. Es gab immer ein drauf und runter mit dem Gewicht. Oft bin ich verzweifelt… Inzwischen bin ich an folgender Stelle: ich führe ein Ernährungstagebuch mit Zeit, Kalorien, Energiedichte und dem entsprechenden Abnehmresultaten. Seit dem 28.01.2020 habe ich 3,5kg abgenommen. Ich brauchte ein Angstwort, dass mich deutlich abschreckt, Süßkram zu kaufen, meine Essgewohnheiten zu strukturieren. Inzwischen schaffe ich das gut, hatte auch keinen Heißhunger.
    Lange Rede kurzer Sinn, ich glaube, dass jeder für sich seinen Weg finden muss, egal wie lang es dauert. Je mehr ich weiß, um so besser kann ich herausfinden, was für mich relevant ist.
    Motiviere mich bitte weiter, mein Weg ist noch lang.
    Eine Frage hab ich noch: jeder warnt mich davor, nicht unter 1000 kcal täglich zu essen. Aber ich denke, wenn ich weiter spazieren gehe, Fahrrad fahre, schrumpft die Muskelmasse nicht. Und damit ist doch der Körper gezwungen, seine Reserven zu mobilisieren?
    Beste Grüße sonja

    • Bastienne sagt:

      Hallo liebe Sonja,

      zunächst möchte ich mich ganz herzlich für dein Feedback bedanken. Freut mich wirklich sehr, dass ich dir ein Stück weiterhelfen konnte – gerne motiviere ich dich hier auch weiterhin 🙂 Ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, dass ich es klasse finde, dass du die ersten Schritte bereits gegangen bist und deinen Weg gefunden hast.

      Nun aber zu deiner Frage: Weniger als 1000 kcal pro Tag zu essen, ist tatsächlich recht wenig und kann den Abnehmprozess aus psychologischer aber auch physiologischer Sicht langfristig behindern.

      Starten wir erstmal mit der Psyche. Hast du selbst das Gefühl im Verzicht zu leben? Weniger als 1000kcal zu essen erfordert eine hohe Disziplin und nicht selten führt dieser ständige Verzicht dazu, dass man irgendwann widerstand leistet und dann erst recht isst (Stichwort Reaktanztheorie).

      Zum anderen (wie deine Freunde schon sagen) kann eine niedrige Kalorienzufuhr zum Muskelausbau führen, was auch einen geringeren Kalorienverbrauch bedeutet. Mit einer ausreichenden Eiweißzufuhr und genügend Sport kann man dem jedoch entgegenwirken. Da du dies bereits berücksichtigst, sehe ich die Herausforderung aber eher im psychischen Aspekt.

      Hinterfrage deshalb ehrlich, ob es ein harter Verzicht ist den du momentan lebst und ob du diesen Ernährungsstil auch langfristig durchhalten könntest.

      Ganz liebe Grüße,
      Bastienne

  2. Annika sagt:

    Ich finde den Beitrag echt toll!! Leider begegnet einem dieser Wahn so oft im Leben. Alleine durch falsche Darstellung mancher „Role-Models“ im Internet ist dieses Wissen für Eltern und Kinder unbezahlbar!
    Selbstakzeptanz in ALLEN Lebenslagen ist eines der Wichtigsten Themen. Danke, danke, danke!

    Danke für diesen Beitrag.

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