Die Angst vor dem Hungergefühl – ein Phänomen, das ziemlich verbreitet, aber nicht bewusst wahrgenommen wird. Viele Menschen essen häufig mehr als nötig, doch hinterfragen selten, was sich wirklich hinter diesem Essverhalten versteckt. Ich verrate dir, warum die Angst vor dem Hungergefühl existiert, warum wir häufig selbst daran schuld sind und gebe dir Tipps, wie du damit umgehen kannst.
Du kennst das vielleicht auch: Du isst häufig eine deutlich zu große Portion und das, obwohl du dich danach nicht unbedingt besser fühlst. Oder du isst viel zu häufig, eigentlich ständig. Dabei ignorierst du gekonnt deine Sättigungssignale.
Zunächst ein kleiner Trost: Du bist damit nicht alleine! Vielen geht es so und auch ich hatte in der Vergangenheit meine Probleme damit.
Die Gründe dafür sind vielseitig, doch einer ist besonders stark in uns verankert: Die Angst, das Hungergefühl zuzulassen und zu spüren.
Evolutionsbedingt ist es logisch, dass unser Gehirn Signale an unseren Körper schickt und damit vermeidet, dass wir zu starken Hunger verspüren. Als die Nahrungsbeschaffung noch nicht „Einkauf im Supermarkt“ bedeutete, wurde damit vermieden, dass unser Körper zu schwach für die nächste Jagd wird.
Auch wenn das heute nicht mehr notwendig ist, sendet dein Gehirn vielleicht weiter diese Signale – mit drastischen Folgen für dein Essverhalten. Aus Angst vor dem Hungergefühl drehen sich deine Gedanken nur noch um das Thema Essen, du fängst an zu „bunkern“, also auf Vorrat zu essen, damit Hunger keine Chance bekommt. Doch damit baust du auch eine ungesunde Beziehung zum Essen auf und entfernst dich immer weiter davon, mit Nahrung die tatsächlichen Bedürfnisse deines Körpers zu stillen.
In vielen Fällen entwickelt sich dieses Essverhalten unbewusst. Daher stellt sich die Frage: Woher kommt die Angst vor dem Hungergefühl?
Wir lernen nie aus! Für mich ist das nicht nur ein Spruch, sondern gelebte Realität. Aus jeder Erfahrung und jedem Erlebnis lernen wir etwas, ziehen Rückschlüsse und etablieren auf dieser Basis neue Meinungen oder eben Verhaltensweisen.
Ein Beispiel: Hast du als Kind einmal auf die heiße Herdplatte gefasst? Dann erinnerst du dich sicher noch an den Schmerz und hast daraus für die Zukunft gelernt, vorsichtig am Herd zu sein. Noch einmal fasst du eine heiße Herdplatte sicher nicht an.
Das Gleiche passiert mit Hunger: Hast du bereits richtigen Hunger erlebt, speichert dein Gehirn diese Erfahrung ab und sendet entsprechende Signale. Du tust also alles in deiner Macht Stehende, damit du kein Hungergefühl spüren musst.
Dabei ist es egal, in welchem Zusammenhang du den Hunger erlebt hast. Oft leiden Menschen, die einen Krieg erlebt haben, an der unbewussten Angst vor Hunger. Die schwere Zeit ohne ständig verfügbares Essen hat geprägt. Die Folgen sind sichtbar: Kriegsüberlebende essen häufig große, üppige Mahlzeiten, gerne auch gute Hausmannskost. Dieses Essverhalten wird auch an die folgende Generation weitergegeben. Die Kinder essen ebenfalls große Portionen und werden mit Sprüchen wie „Du musst deinen Teller leer essen, sonst regnet es morgen“ darauf getrimmt, die Sättigungssignale zu ignorieren.
Dieses Verhalten ist natürlich verständlich. Wer oft über Jahre hinweg um die nächste Mahlzeit bangen musste und einem ständigen Hungergefühl ausgesetzt war, möchte das in Zukunft um jeden Preis vermeiden.
Die Nachkriegsgeneration kennt zwar keine Hungerperioden, doch dass Mahlzeiten groß und üppig sind, wird ihnen bereits in die Wiege gelegt. Dieses Essverhalten ist also von klein auf antrainiert.
Doch die Angst vor dem Hungergefühl kann auch andere Ursachen haben: Diäten.
Ich kann aus Erfahrung sprechen, denn auch ich habe einige Diäten ausprobiert. Erst wenn das Hungergefühl so richtig eingesetzt hat, fühlte es sich für mich richtig an. Es war sogar eine Art Belohnung.
Im Kopf ist der Hunger während einer Diät daher positiv verknüpft. Du bist endlich diszipliniert und ziehst es durch! Für den Körper ist es natürlich alles andere als gut.
Auch aus dieser Erfahrung lernt dein Körper. Allerdings nur, dass er nicht mehr in diesen Zustand kommen möchte und mit der Zeit entwickelt sich daraus die Angst vor dem Hungergefühl. Das Resultat: Viel zu große Mahlzeiten, viel zu häufig.
Leider ist dieses Essverhalten mittlerweile sehr stark verbreitet. Viele setzen sich bewusst dem starken Hungergefühl in Zusammenhang mit unterschiedlichen Diäten aus und sind stolz darauf, es aushalten zu können.
Unbewusst kultivierst du damit jedoch diese Angst weiter und mit jeder neuen Diät verankerst du sie erneut. Dabei wird es immer schwieriger, sie zu erkennen und gegenzusteuern.
Wie ist es bei dir? Hast du Angst vor dem Hungergefühl? Prüfe, ob folgende Aussagen auf dich zutreffen:
Wann wird es wieder etwas zu essen geben? Wo kannst du auf die Schnelle einen Snack kaufen? Wirst du genügend Zeit haben zum Essen? Was kochst du heute Abend und wann gehst du dafür einkaufen? Du denkst ständig nur noch über dieses Thema nach, unabhängig von deinem Hungergefühl.
Kurze Arbeitspause, eine Busfahrt, am Abend bei deiner Lieblingsserie – du isst immer, ohne dabei auf dein Hungergefühl zu achten. Denn unbewusst verfolgt dich ebenfalls die Frage: Wann gibt es wieder etwas zu essen?
Nicht nur, wenn du mit Freunden ab und an beim Lieblingsitaliener die große Pizza bestellst, weil sie einfach so lecker ist. Sondern bei jeder Mahlzeit und zu jeder Tageszeit. Wirklich gut fühlst du dich danach zwar nicht, aber du ignorierst trotzdem dein Sättigungsgefühl.
Wenn ein Trip bevorsteht, bereitest du dir immer ein üppiges Esspaket vor, häufig völlig übertrieben für die Dauer deiner Reise. Und oft hast du es schon zu Beginn verzehrt. Auch bei Aktivitäten, bei denen du keine Kontrolle über Pausen oder mögliche Essenszeiten hast, bereitest du dir zu große Snacks vor, die du ebenfalls viel zu früh isst.
Viele Menschen, die dieses Essverhalten bei sich beobachten, möchten etwas dagegen unternehmen. Sie beobachten ein verändertes Essverhalten, haben Probleme mit dem Sättigungsgefühl und steuern häufig mit einer Diät dagegen. Das ist natürlich der völlig falsche Ansatz, den oft ist das eben der Auslöser und der Kreislauf beginnt von Neuem.
Viele Diäten basieren auf einer Restriktion bestimmter Lebensmittel oder der Kalorienzufuhr. Das Hungergefühl ist daher vorprogrammiert und der Körper steigert sich erneut in die Angst. Du fasst also sprichwörtlich wieder auf die Herdplatte!
Doch wie kannst du stattdessen damit umgehen?
Der erste Schritt ist das Erkennen, dass du an einer Angst vor dem Hungergefühl leidest. Beobachte dich einige Tage. Was sind deine Essimpulse? Wann isst du und wie viel? Mache dir bewusst, ob du wirklich Angst vor dem Hungergefühl hast und daher dein Essverhalten anpasst.
Sollte das der Fall sein, dann gilt: Verurteile dich nicht! Sei lieber dankbar, dass dein Körper diesen Notmechanismus besitzt und ihn einsetzt, wenn er sich in Not sieht.
Damit du dich langsam von dieser Angst trennst, habe ich folgende Tipps für dich, die auch mir gut geholfen haben:
Kleinen Proviant einpacken: Egal, wie lange du außer Haus bist, packe dir einen kleinen Snack in die Tasche. Solltest du nur kurz unterwegs sein, kannst du auf frisches Obst, wie Äpfel oder Birnen zurückgreifen. Bist du länger unterwegs, dann eignen sich Nüsse oder Trockenfrüchte optimal für eine kleine Stärkung.
Das reduziert den Druck, ständig an Essen zu denken, enorm. Schließlich weißt du, dass du etwas dabeihast. Sollte also der kleine Hunger zwischendurch doch kommen, bist du perfekt vorbereitet. Du musst nicht vorher eine übergroße Portion essen.
Natürlich läufst du Gefahr, deinen Snack sofort zu essen, ohne dass sich dein Hungergefühl meldet. Das erfordert tatsächlich ein bisschen Übung. Hör dafür auch in meine Podcastfolge Nummer 60 „Den Umgang mit Süßigkeiten erlernen“ rein. Da geht es zwar hauptsächlich um süße Versuchungen, aber ich gebe viele Tipps, wie man widerstehen kann.
Es gibt überall Essen: Theoretisch weißt du, dass dir Essen so ziemlich überall und jederzeit zur Verfügung steht. Doch dein Gehirn ist immer noch auf die Angst programmiert, Hunger zu bekommen. Daher hilft: Mache dir bewusst, dass du jederzeit etwas zu Essen findest. Supermärkte, Cafés, das Bordbistro in der Bahn – es gibt zahlreiche Möglichkeiten.
Du musst daher nicht auf Vorrat essen und kannst dich auf dein Sättigungsgefühl verlassen. Beim kleinen Hunger holst du dir eben eine Kleinigkeit.
Ich hoffe, ich konnte dich motivieren, dein Essverhalten zu hinterfragen und zu prüfen, ob auch du Angst vor dem Hungergefühl hast. Wenn das der Fall ist, dann probiere meine Tipps aus, um in Zukunft besser damit umgehen zu können und Schritt für Schritt aus dem Angstgefühl herauszukommen. Wie sind deine Erfahrungen mit der Angst vor dem Hungergefühl? Ich freue mich auf deinen Kommentar.